Reiten in der Schwangerschaft – ja oder nein?
Wenn das Thema „Reiten mit Helm“ schon kontrovers diskutiert wird, ist es mit „Reiten in der Schwangerschaft“ mindestens doppelt so brisant. Schließlich geht es hier nicht nur um die eigene Sicherheit, sondern auch um die eines anderen, noch ungeborenen, Menschen.
Da ist es nicht so einfach, für sich persönlich den richtigen Weg zu finden. Riskiere ich die Gesundheit meines Babys? Wie wahrscheinlich ist ein Sturz? Und ist ein starker Beckenboden nun gut oder schlecht für die anstehende Geburt?
Ich selber steige auch schwanger noch ab und ab aufs Pferd. Reiten kann man das Ganze eigentlich nicht mehr nennen. Eher ein gemächliches Herumschaukeln. Die Risiken sind mir bewusst, aber: Wie groß sind sie wirklich?
Reiten in der Schwangerschaft – was sagt der Arzt?
In 99% aller Fälle wird dir dein Arzt vom Reiten in der Schwangerschaft abraten. Warum? Weil das Unfallrisiko natürlich nicht zu unterschätzen ist und er keine Lust hat, sich haftbar zu machen.
Wenn du in der Schwangerschaft weiter reiten möchtest, solltest du diese Entscheidung entweder gar nicht erst deinem Arzt mitteilen oder aber im Fall eines Abraten seinerseits genau nachfragen: Warum sollst du nicht weiter reiten? Geht es dabei nur um die Unfallgefahr oder droht dir tatsächlich eine mögliche Frühgeburt etc.? (Dann musst du vermutlich auch ganz viele andere Dinge beachten und extrem viel liegen. Wenn dein Arzt dir normalen Sport erlaubt, aber das Reiten nicht, dann steckt meistens wirklich „nur“ die Angst vor Stürzen dahinter).
Fakt ist: Dein Arzt darf dir gar nichts verbieten. Genauso wenig gibst du aber auch deine Verantwortung an ihn ab. Du alleine entscheidest, was du in der Schwangerschaft weiter machen möchtest und was nicht. Du alleine trägst alle etwaigen Risiken für dich und dein Kind.
Reiten in der Schwangerschaft – schadet es dem Baby?
Lassen wir das Unfallrisiko erst einmal ganz außen vor. Schadet es deinem Baby, wenn du in der Schwangerschaft reitest?
Die kurze und einfache Antwort: Nein.
Studien, u.a. diese Dissertation, zeigen, dass bei einer intakten Schwangerschaft und einer gesunden, belastungsfähigen Reiterin das Reiten keinen negativen Einfluss auf den Verlauf der Schwangerschaft, der Entbindung und auf das Frühgeburtsrisiko hat.
Reiten in der Schwangerschaft – bis zu welchem Maße?
Nun ist Reiten nicht gleich Reiten und wie ich oben geschrieben habe, sitze ich inzwischen nur noch gemütlich im Schritt auf dem Pferd.
Prinzipiell kannst du auch in der Schwangerschaft ganz „normal“ weiter reiten. Also in allen Gangarten und Sportdisziplinen. Eine hohe sportliche Belastung gehört nicht zu den bekannten Frühgeburtsrisiken.
Allerdings ist es hier umso wichtiger, dass du auf dein Bauchgefühl hörst. Was fühlt sich noch gut an? Was macht Beschwerden? Wie weit solltest du gehen? Wann überanstrengst du dich?
Dabei geht es gar nicht mal nur um das Reiten, sondern auch um die generelle Pferdepflege. Denn manchmal kann Ausmisten oder Abäppeln für dich viel anstrengender sein, als das Reiten selbst.
Das Heben von schweren Lasten solltest du deinem Beckenboden sowieso nicht antun. Generell gilt auch hier: Höre auf dein Gefühl und übernimm dich nicht! Mache ausreichend Pausen in der Stallarbeit und frage auch mal nach Hilfe, wenn es nicht anders geht.
Reiten in der Schwangerschaft – beeinflusst es die Kindslage?
Es gibt das Gerücht, dass Babys sich eher in die ungünstigere Beckenendlage drehen, wenn die Mutter in der Schwangerschaft reitet. Angeblich könnten sie die Bewegungen so besser vertragen.
Dies ist jedoch nicht der Fall. Bislang konnte keine Beeinflussung der Kindslage durch Reiten festgestellt und nachgewiesen werden.
Reiten in der Schwangerschaft – wie ändert es die Geburt?
Der Beckenboden ist wohl ein bekanntes Thema unter schwangeren Reiterinnen. Haben reitende Mütter eine längere Geburt? Oder macht es keinen Unterschied?
Letztlich ist es hier leider so, dass noch keine Studien dazu vorliegen. Wenn ich mich im Bekanntenkreis oder auf der Verwandert Facebook Seite umhöre, scheint es wirklich ganz unterschiedlich zu sein. Manche Reiterinnen hatten eine Blitzgeburt in einer halben Stunde, andere quälten sich 24 Stunden durch die Wehen.
Fest steht, dass Mütter, die während der Schwangerschaft geritten sind, nicht öfter einen Kaiserschnitt haben, als nicht-reitende Gebärende.
Auch scheint das Reiten dem Schmerzempfinden zugute zu kommen. Die Schmerzen unter der Geburt werden von Müttern, die in der Schwangerschaft viel Sport gemacht haben, als weniger belastend eingeschätzt, als von Müttern, die keinen Sport gemacht haben.
Außerdem verbessert Sport während der Schwangerschaft die Stimmung und reduziert Depressivität während der Schwangerschaft und nach der Geburt.
Reiten in der Schwangerschaft – ist es eine Risikosportart?
Reiten wird offiziell als Risikosportart behandelt. Diese soll man laut den gängigen Empfehlungen während der Schwangerschaft meiden. Dazu zählen insbesondere Sportarten, bei denen schnelle Bewegungen, Drehungen und Stürze unvermeidlich sind.
Nun sind Stürze beim Reiten nicht als regelmäßiger Bestandteil dieses Sportes vorgesehen. Doch was, wenn es trotzdem dazu kommt?
Reiten in der Schwangerschaft – was passiert bei einem Sturz?
Besonders für noch unerfahrene Reiter und Reiter, die mit Jung- und „Problem“pferden arbeiten ist das Unfallrisiko beim Reiten sehr hoch. Komplett kann es sowieso nie ausgeschlossen werden. Jedes noch so brave Pferd kann sich erschrecken, stolpern, von einer Biene gestochen werden usw.
Das zeigt auch die Dissertation:
- 74,8 % der Reiterinnen mit Unfällen sind in der Schwangerschaft keine Hindernisse gesprungen,
- 72,2% der Reiterinnen mit Unfällen nahmen nicht an Turnieren teil,
- 66,9% der Reiterinnen mit Unfällen schlossen sich im Fragebogen der Aussage an „Ich fühlte mich völlig sicher, ein Unfallrisiko war aus meiner Sicht ausgeschlossen“;
- 53% der Reiterinnen mit Unfällen haben keine jungen Pferde und keine Problempferde geritten
Ein Unfall kann dabei alles sein: Vom schweren Sturz vom oder mit dem Pferd bis hin zu „Pferd tritt mir auf den Fuß“. Unfälle treten beim Reiten seltener auf als bei Hand- oder Volleyball. Allerdings sind sie, wenn sie auftreten, auch ungleich dramatischer.
Von den 1.858 befragten Reiterinnen in der Studie erlitt eine aufgrund eines Sturzes in der 23. Woche eine Fehlgeburt, eine weitere hatte in der 33. Woche eine Frühgeburt.
Im Vergleich zur Gesamtzahl der reitenden Schwangeren ist dies gering, was die Einzelschicksale natürlich nicht minder dramatisch macht.
Generell ist für die Überlebenschance des Babys weniger die Unfallschwere als der Zeitpunkt des Unfalls entscheidend. Je früher, desto fataler für das Kind, da es eine Geburt zu dem Zeitpunkt noch nicht überleben kann. Mit dickem Babybauch sieht es somit im Sattel zwar imposanter aus, ist für das Ungeborene letztlich aber sicherer als in den ersten Schwangerschaftsmonaten.
Direkte Verletzungen des Föten bei einem Unfall kommen praktisch gar nicht vor. Allerdings kann es bei schweren Unfällen zu einer Plazentaablösung und damit zur Geburt des Kindes kommen.
Hier musst du wieder ganz für dich alleine entscheiden, welches Risiko du eingehen möchtest.
Reiten in der Schwangerschaft – Fazit
Zu den Risiken beim Reiten in der Schwangerschaft, ohne Unfälle, lässt sich folgendes sagen:
„Solange die schwangere Reiterin sich wohl, sicher und gesund fühlt, die regelmäßigen Mutterschafts-Vorsorgetermine zur Früherkennung von Schwangerschaftsrisiken wahrnimmt und Unfallgefahren beseitigt, kann also das Reiten – gleich welcher Disziplin und Trainingsintensität – zumindest vom sportlichen Aspekt aus während der Schwangerschaft beliebig fortgeführt werden.“
Nun lassen sich Unfälle aber leider nie komplett ausschließen. Hier kann dir niemand die Entscheidung abnehmen und niemand garantieren, dass dir und deinem Kind nichts passiert.
Du alleine entscheidest, ob du schwanger weiterhin aufs Pferd steigst oder nicht.
Ja, es ist eine Gefahr für dich und dein Kind. Ja, du könntest dadurch im allerschlimmsten Fall dein Kind verlieren.
Dieses Risiko muss dir einfach bewusst sein.
Ich persönlich habe mich dafür entschieden, dieses Risiko einzugehen.
Reiten und der Umgang mit Pferden gibt mir eine solche Lebensqualität und Entspannung, die ich anders nur selten kriege. Ich merke richtig, wie die Sorgen von mir abfallen und ich Kraft tanken kann. Das möchte ich weder mir noch dem Baby nehmen.
Damit möchte ich meine Meinung aber niemandem aufdrücken. Wenn du dich unwohl fühlst, solltest du meiner Meinung nach sowieso auf gar kein Pferd steigen. Es gibt auch viele tolle Dinge, die man vom Boden aus mit dem Pferd machen kann.
Entscheide für dich, was sich richtig anfühlt. Das kann sich auch jeden Tag oder sogar jede Minute ändern. Höre auf dich und auf dein Bauchgefühl.
Wie ist deine Meinung zum Reiten in der Schwangerschaft? Hinterlasse mir gerne einen Kommentar.
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