Tschüss, liebes Thüringen

veröffentlicht von Sarah am 23. Juni 2016

Tschueß Thueringen

Liebes Thüringen, es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich von dir verabschieden muss. Mehr als 7 Jahre waren wir eine Gemeinschaft und du mein Zuhause – doch jetzt zieht es uns zurück in den Norden.

Ja genau, wir gehen zurück dorthin, wo es immer regnet, wo die Menschen wortkarg sind und wo man höchstens bis zum nächsten Deich gucken kann.

Und ja, ich habe Angst vor dieser Veränderung. Ich habe Angst, dich zu verlassen, wo du mich doch mein ganzes Erwachsenenleben begleitet hast.

Ich habe meine erste eigene Wohnung in Thüringen gemietet. Mein Studium in Thüringen begonnen und abgeschlossen.

Ich habe in Thüringen einen Heiratsantrag bekommen, bin in rotem Kleid auf einem Tandem-Fahrrad zur Trauung gefahren und habe in einem deiner Parks meine Hochzeit mit einem Picknick gefeiert.

Heiraten in Thüringen

Ich habe in meinem ersten Job in Thüringen gearbeitet und auch das erste Mal einen Job wieder gekündigt, um mich selbstständig zu machen.

Ich habe in Thüringen meinen Businessplan geschrieben und Veranstaltungen zum Thema Gründen und Selbstständigkeit besucht, bei denen ich zum Teil selber auf der Bühne stand.

Alle wichtigen Eckpunkte auf dem Weg zum Erwachsenwerden habe ich in Thüringen erlebt. Dann bin ich sogar in Thüringen schwanger geworden. 

Und genau das war der Zeitpunkt, an dem ich wusste, dass ich mich verabschieden muss.

Ich liebe Thüringen. Aber ich möchte hier nicht mein Kind aufwachsen lassen. Es ist mein Zuhause geworden, aber nicht meine Heimat.

Babybauch

Heimat ist wohl doch irgendwie anders definiert, als nur schöne Natur, tolle Städte und nette Menschen. Heimat hat etwas mit Familie zu tun. Und die gibt es für uns in Thüringen leider nicht.

Vielleicht ist es feige, jetzt zu gehen, wo es ernst wird. Vielleicht könnte ich meine eigene kleine Familie in Thüringen aufbauen. Doch ich bin ganz ehrlich: Dazu bin ich zu bequem.

Ich möchte meine Familie wieder um mich herum haben, wenn ich ein Baby habe. Ich möchte das Gefühl haben, anrufen zu können, und es ist jemand in 5 Minuten bei mir und nicht erst in 4 Stunden.

Ich möchte auch mit meinen alten Freundinnen wieder Zeit verbringen.

Und irgendwie ist mir der Norden auch einfach vertraut. Ich rede so, wie alle Leute dort reden. Ich bin nicht verwirrt, wenn mir jemand eine Uhrzeit nennt. Ich mag das Wort „Moin“, das Meer und das Watt. Und meine Gummistiefel wollte ich sowieso mal wieder auskramen.

Es ist also die Zeit gekommen, um Kisten zu packen. Doch diesmal nicht, um ein neues Haus in Thüringen zu beziehen, sondern um zu schauen, wie all unser Kram wohl in eine 4-Zimmer-Wohnung passen soll.

Umzug aus Thüringen

Denn der Norden ist nicht nur nass, sondern auch teuer.

Und wo man in Thüringen ein ganzes Zweifamilienhaus bekommt, reicht dieses Geld dort gerade mal für eine Wohnung.

Abgesehen davon, dass man mit Hund sowieso auf der Mieter-Hass-Liste ganz oben mit dabei ist.

So beginnt der zweite Teil meines Erwachsenenlebens direkt mit einem Immobilienkauf. Eigentlich kein ganz schlechter Start, oder?

Es wird mir fehlen, nicht mehr mitten in Deutschland zu wohnen und ein riesiges Wandergebiet zu haben.

Schmalwassertalsperre-Aussicht

Es wird mir fehlen, nicht mehr auf einen Berg steigen zu können und eine hammermäßige Aussicht zu haben. Es wird mir fehlen, nicht mehr durch Erfurt zu schlendern, eine der wohl am meisten unterschätzten Städte der Welt.

Und es wird mir fehlen, mein Pony nicht mehr vom Küchenfenster aus zu sehen.

Vor ein paar Tagen habe ich eine Wanderin für ein paar Schritte begleitet. Sie kam aus Berlin und wollte in Thüringen eine Woche lang abschalten. Als ich erzählte, dass wir ursprünglich aus Bremen stammen und seit 7 Jahren in Thüringen wohnen, sagte sie einen Satz, der mir immer noch nachhängt:

„Das ist doch alles so trostlos hier.“

Bitte? Da stehe ich mit ihr mitten in einer der grandiosesten Landschaften Deutschlands, ganz für uns alleine – und sie sagt, es sei trostlos?

In Thüringen gibt es wunderschöne Städte, eine gute Infrastruktur, Universitäten, Weiterbildungsmöglichkeiten und selbst auf den Dörfern kuriose Veranstaltungen, deren Sinn wohl nur den Einheimischen so richtig klar ist.

Trostlos ist es hier ganz sicher nicht, zumindest nicht für denjenigen, der dies nicht möchte.

Drachenschlucht Thüringen

Ist es nicht verrückt, wie wir die Dinge immer erst dann zu schätzen wissen, wenn wir sie nicht mehr haben oder wissen, dass wir sie verlieren werden?

Wenn Timo und ich in den letzten Tagen zusammen unterwegs sind, schwärmen wir beide von der Schönheit, die sieben Jahre lang für uns selbstverständlich war:

„Wow, guck mal, wie schön es hier ist!“ „Diese Hügel, ein Traum!“, „Ist diese Stadt nicht einfach perfekt?“.

Schmalwassertalsperre-Wandern

Und deswegen fällt es mir auch so schwer jetzt Abschied zu nehmen.

Ich habe einige Menschen in Thüringen richtig lieb gewonnen und kann mir noch überhaupt nicht vorstellen, diese bald nicht mehr so häufig zu sehen.

Habe ich vor sieben Jahren beim Umzug weg aus dem Norden eigentlich geweint? Ich kann mich nicht daran erinnern.

Aber dieser Umzug fühlt sich irgendwie endgültiger an. Entschiedener.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, ein zweites Mal Familie und Freunde zu verlassen? Lässt man eine gekaufte Wohnung einfach so zurück? Will ich nach dem ersten Mal im Watt stehen überhaupt wieder Berge?

Watt

Wenn ich eines gelernt habe, dann, dass man das Leben wirklich schlecht planen kann. Timo und ich wollten eigentlich nur zwei Jahre in Thüringen bleiben und dann nach Kanada auswandern. Zurück in die alte Heimat wollte ich nie.

Doch zum Glück darf ich meine Meinungen, Wünsche und Träume einfach ändern. Wer weiß schon, was ich in einem Jahr für Pläne habe?

Es ändert sich gerade so vieles und es fühlt sich wie ein krasser Neuanfang an, in allen Bereichen. Das macht mir manchmal Angst, aber ich setze einfach einen Fuß vor den anderen und lasse die Dinge auf mich zu kommen.

Tschüss, liebes Thüringen. Erinnere dich an mich, als die verrückte Bloggerin, die rein objektiv betrachtet so überhaupt nicht zu dir gepasst hat und sich doch so gut integriert hat, dass sie am Ende sogar das Torten-Uhrzeit-Argument verstanden hat (und sich dabei nur noch ganz dezent auf die Lippen beißen musste).

Ich werde dich vermissen und behalte dich immer in meinem Herzen. Wer weiß, vielleicht kommen wir ja auch eines Tages wieder zusammen. Jetzt bin ich erst einmal gespannt, wie mein Leben in Norddeutschland verlaufen wird. Ist das nicht alles ein riesiges Abenteuer?