Wenn das eigene Kind nicht in die Norm passt. (Die Geburt unseres Sohnes)
Eigentlich hätte ich es wissen müssen: Wenn zwei so verrückte und „unnormale“ Menschen, wie mein Mann Timo und ich, ein Baby bekommen, kommt da ganz sicher kein 0815-Kind bei heraus. Wobei es so etwas wie ein Standard-Baby vermutlich sowieso gar nicht gibt.
Zumindest nicht in der echten Welt. In der Realität der Ärzte gibt es Normen. Und Kurven. Und tausend schreckliche Gründe, warum ein Kind nicht innerhalb dieser vorgegebenen Werte liegt.
Ich war gerne schwanger. Aber noch mehr hätte ich es ohne diesen Ärzte-Wahnsinn genossen.
Mein Traum war immer eine möglichst natürliche Geburt, ambulant im Geburtshaus. Geworden ist es ein Kaiserschnitt in der Klinik mit insgesamt 3,5 Wochen Klinikaufenthalt.
Und das ist ok. Aber vieles hätte ich mir im Vorfeld gerne erspart.
Schon früh wurde unser Sohn im Ultraschall „auffällig“. Er war deutlich zu klein und das Größenverhältnis von Kopf zu Körper schien krass unterschiedlich.
Es folgten zahlreiche Arztbesuche, eine Fruchtwasserpunktion und ein MRT in der Uniklinik.
Ich musste mich mit Themen beschäftigen, mit denen sich kein Elternteil beschäftigen will. Themen die so unglaublich komplex und zum Teil schrecklich sind, dass ich mir absolut kein allgemeines Urteil darüber erlaube.
Noch bis in die 32. Woche wurde ich von einem meiner Ärzte zu einem Spätabbruch gedrängt. Immer und immer wieder. Bis heute verstehe ich nicht, was ihn dazu bewegte, einfach keine Ruhe zu geben.
Es kam der Zeitpunkt, an dem mehrmals am Tag mein Baby kontrolliert werden musste, um zu schauen, wann der Kleine außerhalb des Bauches besser aufgehoben ist, als im Bauch selbst. Also ging ich, zum Glück schon am neuen Wohnort, stationär in die Klinik.
Diese Zeit im Krankenhaus war nicht schlimm, aber emotional trotzdem eine Achterbahnfahrt für mich. Ich freute mich auf mein Kind, war aber auch sehr angespannt, da wir nach wie vor nicht wussten, was mit ihm denn „nicht stimmt“.
Wir sprachen mit den Kinderärzten in der Klinik und bereiteten uns auf alles vor.
Immer noch hatte ich den Wunsch, mein Kind auf natürlichem Wege zu bekommen. Eine weitere Woche hätte ich dafür noch abwarten sollen. Er war inzwischen auf 1400g geschätzt – ab 1500g hätte ich es so probieren dürfen.
Am Wochenende fuhren Timo und ich ans Meer. Ich musste abschalten und einfach mal raus kommen. Irgendwie habe ich es da schon geahnt, dass es unser letzter Ausflug zu zweit sein wird.
Am Dienstag danach hing ich wie immer am CTG, um die Herztöne des Kindes zu überprüfen. Ich döste gerade weg, da sackten die Herztöne rapide und für einen längeren Zeitraum ab. Leider direkt zweimal hintereinander. Mein Puls ging so in die Höhe, dass ich doppelten Alarm auslöste.
Abends passiert das gleiche nochmal. Und in dem Moment wusste ich, dass ich keine natürliche Geburt mehr wollte. Es fühlte sich nicht mehr richtig an. Ich plante gemeinsam mit den Ärzten für den nächsten Morgen einen Kaiserschnitt.
Die Nacht verbrachte ich alleine in meinem Krankenhauszimmer. Timo war am nächsten Morgen direkt bei mir und wir machten ein letztes Bauch-Foto im OP-Kittel. Dann ging es los.
Auch wenn ich nie einen Kaiserschnitt gewünscht hätte, empfand ich die Geburt trotzdem als ein unglaublich schönes Erlebnis. Ich wurde ganz wunderbar betreut und Timo durfte mit dabei sein.
„Sie sagen mir, wenn er da ist, oder?“ fragte ich die OP-Schwester, die neben mir stand und über das aufgespannte Tuch schauen konnte.
„Genau in dem Moment, wo Sie es gesagt haben, ist er draußen. Er ist jetzt noch über die Nabelschnur mit Ihnen verbunden. Es ist ein Junge!“
Und da hörte ich ihn schreien. Mein eigenes Baby. Ich konnte es nicht fassen. Er schreit. Er atmet! Ich begann hemmungslos zu weinen. „Kannst du ihn sehen, kannst du ihn sehen??“ sagte ich zu Timo und merkte erst da, dass er auch weint.
Kurz danach kam eine Schwester mit ihm zu uns. Der Kleine war jetzt wieder ganz still und in ein weißes Handtuch eingewickelt. „Oh Gott, ist der klein, oh Gott, ist der klein!“ wiederholte ich immer wieder. Dann ging die Schwester mit ihm in den Nebenraum, um zu schauen, wie es ihm geht.
Ich kriegte mich gar nicht mehr ein und schluchzte nur vor mich hin „Oh Gott, oh Gott.“
„So klein ist er gar nicht, Schatz“, beruhigte mich Timo.
Timo durfte direkt mit unserem Sohn mitgehen, während ich noch zugenäht wurde. Kurz danach wurde auch ich mit meinem Bett auf die Kinderintensiv geschoben und wir durften alle gemeinsam kuscheln.
Unser Sohn David hat mit 1540g und 41cm unsere kleine Familie vergrößert.
Übrigens bis auf das geringe Gewicht und die kleine Größe ansonsten völlig unauffällig! Weil er kaum zu früh kam, hatte er auch keine typischen Frühchen-Probleme und musste nur noch etwas aufgepäppelt werden.
Alle Verdachtsdiagnosen haben sich nicht bestätigt. Schuld an dem geringen Gewicht scheint ein reines Plazenta-Problem gewesen zu sein.
Ich bin immer noch fassungslos, dass ich dieses absolut gesunde und fitte Baby abtreiben sollte.
David blieb noch eine Woche auf der Kinderintensiv und zog dann gemeinsam mit mir für weitere 1,5 Wochen in die normale Kinderklinik. Entlassen wurde er schließlich mit 1770g.
Jetzt dürfen wir zuhause ganz außerhalb der Norm kuscheln, stillen und schlafen.
Es ist anstrengend, es ist ungewohnt, es ist absolut zauberhaft. Und auf Normen gebe ich jetzt noch weniger als vorher schon.
Header und Babybauch-Foto von Alice Wonderland
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